Zukunft der Finanzfunktion – wie intelligente Technologien den Finanzbereich umfassend verändern
Zeit damit zu verbringen, aussagefähige Daten auf verlässliche Weise verfügbar zu machen, mit inkompatiblen IT-Systemen zu kämpfen und Überleitungen zwischen internem und externem Rechnungswesen zu erstellen, werden bald der Vergangenheit angehören. Die Digitalisierung in der Finanzfunktion kommt, daran besteht kein Zweifel. Aber wann und wo kommt sie? Dieses Barometer zeigt den digitalen Reifegrad der Finanzfunktionen nach Clustern sowie eine Einschätzung des Status Quo.

Potenziale in der Finanzfunktion
Corona hat den Druck zur Digitalisierung der Finanzfunktion weiter erhöht. Insbesondere das Homeoffice und der damit verbundene remote Arbeitsplatz haben das Thema Cloud-Computing wie einen Tsunami in die Finanzwelt gespült. In Kombination mit den bereits verfügbaren Tools zur Datenvisualisierung bzw. virtuellen Dashboards ist die Finanzfunktion einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung gegangen. Doch wie groß ist dieser Schritt wirklich? Aus der Sicht von Finance mag dieser groß sein, hinsichtlich der Potenziale, die in der Digitalisierung liegen, eher klein. Die folgenden Beispiele geben erste Indikationen, welche Potenziale im Bereich Robotics, Artificial Intelligence und Advanced Analytics liegen:
Automation und Robotics zur Prozessoptimierung
- Durchführung von Planungen und Budgetierung via Cloud
- Automatisierung von Data Reconciliation
- Einsatz von Robotics zur standardisierten Erzeugung von Reports und Analysen
- Einsatz der Blockchain-Technologie zur Kontrolle und Auditierung von Transaktionen
Advanced Analytics zur Optimierung des Forecast
- Durchführung von Top-Down Szenario Analysen
- Entwicklung von Algorithmen zur Optimierung des Umsatz-Forecast
- Entwicklung von Nachfragemodellen zur Verbesserung von Working Capital
- Optimierung der Cashflow-Prognose mit Hilfe von Vorhersagemodellen
Derzeit sind es vor allem globale Finanzorganisationen, die mit den digitalen Technologien experimentieren. Der Schwerpunkt liegt hier auf den eher einfacheren, transaktionalen Prozessen, wie zum Beispiel der Rechnungsprüfung. In der ersten Stufe werden Rechnungen automatisch verteilt, zugeordnet und bezahlt. In der nächsten Entwicklungsstufe werden Robotics erkennen, welche Rechnungen Vorrang haben: Sie werden Doppelzahlungen verhindern und Fraud erkennen. Selbstlernende Programme werden zukünftig in der Lage sein, Daten zu interpretieren, eigene Erfahrungen zu sammeln und diese auf neue Fälle anzuwenden. In einer meiner letzten Funktionen beispielsweise habe ich Robotics zur Abstimmung von Zahlungen implementieren lassen. Der von uns genutzte Robotic hatte eine Kapazität von 3.300 Stunden pro Jahr und hat damit zirka 1,5 FTE ersetzen können.
Advanced Analytics – wichtiger Faktor zur Entscheidungsfindung
Advanced Analytics bzw. Predictive Analytics ist der nächste Schritt in Richtung künstlicher Intelligenz. Die daraus entwickelten kognitiven Verfahren sind extrem leistungsfähig und werden in der Lage sein, effizienter und präziser zu arbeiten als die versiertesten Finanzfachleute. Wie weit das geht, zeigt das Beispiel Microsoft. Microsoft hat bereits im Jahr 2019 damit begonnen, den Forecast-Prozess zu digitalisieren. Der Forecast wird im Unternehmen parallel mittels intelligenter Vorhersagemodelle „digital“ und in altbewährter Weise „analog“ über die Organisation erstellt. Der analoge Weg führte zu einer zehnprozentigen, der digitale nur zu einer zweiprozentigen Ungenauigkeit/Schwankung. Dieses Beispiel unterstreicht, welches Potenzial die Digitalisierung im Finanzbereich hat. Insbesondere Advanced Analytics hat das Zeug, zum wichtigsten Faktor der Entscheidungsfindung im Finanzbereich zu werden.
Künstliche Intelligenz und definierte Zielbilder
Der Einsatz künstlicher Intelligenz wird im Finanzbereich extrem schnell zunehmen und den Handlungsdruck verstärken. So viel zur Theorie. Aber wie geht ein CFO nun konkret vor, um seine Organisation zu digitalisieren?
Fast jede Finanzabteilung experimentiert mit Technologien wie Robotics und Advanced Analytics. Doch oft fehlt ein konkretes Zielbild, wohin die digitale Transformation führen soll. Für den CFO ist es entscheidend, im ersten Schritt dieses zu definieren und dabei auf folgende drei Elemente zu achten:
- Prozesse
- Mitarbeiter
- Infrastruktur
Prozesse, Mitarbeiter, Infrastruktur
Die Analyse der bestehenden Prozesse und Arbeitsinhalte hinsichtlich der Veränderungen durch neue Technologien ist hier der wichtigste Schritt.
Fragen, die sich in Bezug auf die Mitarbeiter ergeben, sind unter anderem: Welche Anforderungen stellt die Digitalisierung an die Mitarbeiter und deren Qualifikation?
Welche Aufgaben erfordern eine Kombination von Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaft und Technologien? Wie können komplexe Daten in nachvollziehbare Informationen und Handlungsempfehlungen übersetzt werden?
Die Qualifikation der Mitarbeiter wird sich entscheidend verändern müssen – weg vom Number cruncher, hin zum mitdenkenden Consultant, der mit Zahlen, Daten und Fakten analytisch umgehen und diese interpretieren kann. Es geht nicht mehr darum, einfach blind irgendwelche Rechnungen „reinzukloppen“, denn diese Aufgabe werden künftig Robotics übernehmen. Es geht vielmehr darum, mit einer dann natürlich reduzierten Mannschaft, bewusst die richtigen Schlüsse aus diesen Daten zu ziehen – und dafür braucht es hochqualifizierte Mitarbeiter.
Welche Infrastruktur ist notwendig, um die Digitalisierung zu realisieren? Wie spielen die einzelnen Systeme zusammen? Diese Fragen sind essenziell, wenn es um die Infrastruktur geht. Es geht im Wesentlichen um das Thema Integration, sprich das, was in der Vergangenheit von 1000 verschiedenen Systemen falsch gemacht wurde. In Summe sollte mit den verschiedenen Systemen, die man braucht, ein Ziel definiert werden. Um dementsprechend von vornherein die Systeme so aufzusetzen, dass sie miteinander kommunizieren können und damit auch einen durchgängigen Datenfluss erzeugen.
Digitalisierung erfolgreich gestalten
Soll die Digitalisierung erfolgreich realisiert werden, ist die Definition des Big Pictures erforderlich. Um dieses zu definieren, muss sich der CFO die Frage stellen, welchen Beitrag der Finanzbereich zukünftig leisten soll. Soll der Finanzbereich zum Lenker des Unternehmens werden, der die Impulse des CEO aufnimmt und umsetzt? Oder konzentriert sich der Finanzbereich auf die originären Finanzthemen im Sinne von Rechnungslegung? Will der CFO einen wesentlichen Beitrag zur Steuerung des Unternehmens leisten, muss er die Digitalisierung aktiv vorantreiben und das Potenzial neuer Technologien nutzen.